SZ 19.02.05
Studie belegt tödliche Gefahr durch Feinstaub
Fahrverbot und Maut in Großstädten
Im Kampf gegen die Luftverschmutzung will Brüssel die
EU-Länder zur Einhaltung der neuen Grenzwerte zwingen
Brüssel - Die EU-Kommission besteht auf scharfen Grenzwerten
gegen Luftverschmutzung, deren Einhaltung zahlreichen deutschen
Städten große Schwierigkeiten bereitet. ¸¸
Wenn die Gesetze verletzt werden, müssen wir ein Verfahren
einleiten", sagte eine Sprecherin der ¸¸Süddeutschen
Zeitung". So genannter Feinstaub wie etwa Abgase aus
Dieselfahrzeugen führt nach einer neuen EU-Studie in Deutschland
jedes Jahr zu 65000 Todesfällen. Damit die seit 1. Januar
europaweit geltenden Grenzwerte eingehalten werden, könnten in
den Städten Fahrverbote, zusätzliche Tempolimits oder
Mautpflicht nötig werden.
Von Alexander Hagelüken
Die EU-Kommission will kommende Woche eine Studie
veröffentlichen, um ihren Kampf gegen die Luftverschmutzung zu
rechtfertigen. Demnach sterben jedes Jahr bis zu 310 000 Europäer
vorzeitig an Herz- und Krebserkrankungen, die durch Emissionen des
Verkehrs, der Industrie oder der Landwirtschaft ausgelöst oder
zumindest gefördert werden. Wichtigster Faktor sind Feinstäube,
winzige Staub- und Rußpartikel. Die Lebenserwartung jedes
Europäers sinke dadurch im Schnitt um neun Monate. Besonders
schlecht ist die Luftqualität laut Studie in Teilen
Nordrhein-Westfalens, den Benelux-Staaten, Norditalien und
osteuropäischen Ländern.
Die Kommission dringt auf die vollständige Umsetzung der
beschlossenen EU-Vorgaben, weil die Zahl der Todesfälle dadurch
bis 2020 auf etwa 200 000 pro Jahr reduziert werden könne.
¸¸Alle Grenzwerte müssen eingehalten werden",
ließ Umweltkommissar Stavros Dimas erklären. ¸¸Es
ist doch im Interesse der Bürger, dass die Luft sauber ist."
Vorbild Stockholm
Zahlreiche deutsche Städte haben jedoch große
Probleme damit, die seit 2005 gültigen Grenzwerte für
Feinstäube einzuhalten. Demnach darf ein Wert von 50 Mikrogramm
Staub pro Kubikmeter Luft nur an 35 Tagen im Jahr überschritten
werden. Nach nur eineinhalb Monaten zeigte eine Messstelle in München
bereits 16 Überschreitungen. Dortmund meldet 13, Frankfurt 12
und Berlin 10 Überschreitungen. Axel Welge vom Deutschen
Städtetag rechnet damit, dass Städte wie Frankfurt, Berlin,
Düsseldorf, Hagen, München oder Dortmund dieses Jahr die
erlaubten Werte übertreffen. 2002 und 2003 war dies fast in
allen größeren deutschen Städten der Fall.
Anders als damals müssen die Kommunen jetzt nach
EU-Recht umgehend Maßnahmen ergreifen, um die Luftverschmutzung
unter das Limit zu drücken. EU-Sprecherin Barbara Helfferich
verwies auf das Vorbild Stockholms, wo ein generelles Tempolimit von
35 Kilometer pro Stunde eingeführt wurde. ¸¸Innovativ"
sei auch das Londoner Modell einer Maut von acht Euro am Tag für
die Innenstadt. Denkbar seien auch Fahrverbote für
Dieselfahrzeuge, die - wie 95 Prozent aller deutschen Dieselautos -
keinen Rußfilter haben.
Brüssel schreibe keine Maßnahmen vor, nur die
Einhaltung des EU-Rechts, sagte Helfferich. Dabei werde es ¸¸keine
weiteren Übergangsfristen geben". Den europäischen
Städten ist seit 1999 bekannt, dass sie von diesem Jahr an
schärfere Grenzwerte für Feinstaub einhalten müssen.
Bei Untätigkeit kann die Kommission Klage wegen Verletzung des
EU-Vertrags erheben, was zu Geldbußen von mehreren Millionen
Euro pro Tag führen kann. Sobald die Grenzwerte mehr als 35-mal
überschritten sind, will der Umweltverband BUND Bürger
unterstützen, die jeweilige Stadt auf Maßnahmen gegen die
Luftverschmutzung zu verklagen. Axel Welge vom Deutschen Städtetag
hält Fahrverbote nur für das ¸¸letzte Mittel".
Er appellierte an die Länder, rasch den von der Bundesregierung
vorgeschlagenen Steuererleichterungen für den Einbau von
Diesel-Rußfiltern zuzustimmen. Die EU-Kommission denkt auch an
neue Gesetze zur Verbesserung der Luftqualität. Bis Mai soll
eine neue ¸¸Strategie gegen Luftverschmutzung"
erarbeitet werden. Für Kleinstpartikel, laut Studie noch
gesundheitsgefährdender als normaler Feinstaub, gibt es in der
EU noch keine Grenzwerte.
Quelle: Süddeutsche
Zeitung
Nr.41, Samstag, den 19. Februar 2005 , Seite 1